Am Pfingstsonntag besuchten wir eine Theatervorstellung in der Lahrensmühle in Leonberg: Die schwarze Spinne von Jeremias Gotthelf, vorgetragen von Stefan Viering, musikalisch untermalt von Victor Oswald. Das hört sich wie ein normaler Theaterabend an.Aber das war es nicht; wir erlebten ein Feuerwerk der Rezitierkunst. Zuerst betrat Victor Oswald mit seinem Akkordeon die kleine spartanisch ausgesattete Bühne (Tisch, Stuhl, Hocker und ein Kruzifix) und stimmte uns mit ein paar fröhlich-melancholischen Musiktakten ein. Dann erschien Stefan Viering – in der Hand ein Taschenbuch – nahm am Tisch Platz, setzte sich seine Lesebrille auf und begann die ersten paar Sätze vorzulesen.
Die Novelle „Die schwarze Spinne“ fängt ja auch harmlos an. Sie beginnt mit einer Tauffeier bei einer rechtschaffenen und gläubigen Bauernfamilie, steigert sich in ein grausames Drama und endet wieder bei dem Tauffest. Die Novelle besteht aus zwei in einander eingebettete Geschichten. Die eine beschreibt die Tauffeier, die andere besteht aus der Geschichte, die der Großvater des Täuflings erzählt. In ihr spielte sich das grausame Drama ab.
Der Ritter Hans von Stoffel befahl seinen Bauern, ihm eine Burg zu bauen. Nachdem diese stand, wollte er innerhalb von 30 Tagen einen Schattengang, der mit hundert Buchen umsäumt sein sollte. Dies war auf normalem Weg nicht zu schaffen. So kam der Teufel ins Spiel. Sein Angebot, er hilft ihnen und dafür bekommt er neugeborenes, ungetauftes Kind, wurde von der mutigen Christine, einer Zugezogenen aus Lindau, angenommen. Damit begann das unsägliche Leid des Dorfes.
Die Novelle“Die Spinne“ spiegelt zum einen eine Zeit wider, in der Ritter ihre Leibeigenen gnadenlos ausbeuteten. Zum anderen zeigt sie, wie die Bauern und Dorfbewohner vom kirchlichen Segen abhängig waren. Wer im Sinne der göttlichen Gebote lebte, hatte nichts zu befürchten.
Dieses erst harmlose Treiben, das sich zu einer Tragödie steigert und wieder in die Harmonie zurückfällt, wird von Stefan Viering mit Gesten und Worten so dargestellt, dass man zu einem Teil dieser umtriebigen Gesellschaft wird. Er haucht allen auftretenden Charakteren Leben ein. Ob es die Taufpatin ist, die sich ängstigt weil sie den Namen des Täuflings nicht kennt – jemand fragen darf sie nicht, sonst wird das Kind neugierig – oder ob es der Großvater, der Teufel oder Christine ist, sie alle bekommen von ihm ihre eigene Persönlichkeit. Er schreitet über die Bühne, verläßt sie und schreitet mit raumgreifenden Schritten vor dem Publikum auf und ab. Er steigt auf Stühle und auf den Tisch, er kniet vor dem Kruzifix, flüstert, spricht mit lauter, herrschender Stimme, kurz gesagt er rezitiert diese Novelle virtuos. Die Dramaturgie dieses Erzähltheaters wurde noch durch die meisterliche musikalische Begleitung intensiviert. Kurz gesagt: es war ein grandioser Theaterabend.
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